„Iriminage, das sieht sehr einfach aus, aber versuchen Sie zu verstehen, was ich alles durchmachen musste, um es zu erschaffen…“ O Sensei
„Beim Aikido gibt es keine Formen und keine Schemata. Die Bewegungen des Aikido sind natürliche Bewegungen. Seine Tiefe ist unergründlich und unerschöpflich.“ O Sensei
Liebe Freunde,
das alte Jahr neigt sich zum Ende und das Neue wurde von unseren Freunden unter das Motto „Gen Ko Itchi“ gestellt. Das erinnert nicht von ungefähr an das „Ken Zen Itchi“ von Takuan (an Yagyu Munenori). Tamura Sensei hat „Gen Ko Itchi“ sinngemäß so ausgedrückt: „Parole et action, même chose“. Wir werden auch dadurch darauf verwiesen, dass das Streben nach technischer Perfektion alleine nicht reicht. Meisterschaft entwickelt sich nur durch gewissenhafte Übung und die korrekte Haltung, oder wie Ueshiba Kisshomaru schreibt: „(O Sensei) versuchte fünf Jahrzehnte lang sein Ziel durch eine im ständigen Üben der Kampfkünste fundierte, unaufhörliche Suche nach der Wahrheit des Budo zu erreichen“. Schlussendlich ist „Masakatsu Agatsu“ aber das schärfste Schwert:
Einst suchte ein sehr bekannter Krieger im Kreise seiner Schüler Meister Hakuin auf und sagte: „Du behauptest es gebe die Hölle und das Paradies, was soll das sein?“. „Wer bist Du?“ fragte der Meister. Leicht verärgert nannte der Angesprochene seinen Namen und Stand, wohl in der Meinung, Hakuin wäre beeindruckt. Der aber erwiderte nur gelassen „Ich sehe keinen Samurai.“ Nun sah sich der Krieger blamiert. Mehr aber noch, als Hakuin sich daraufhin wieder seiner Gartentätigkeit zuwandte. Wütend zog er sein Schwert und machte einen Schritt in Richtung des Meisters. „Nun“ sagte Hakuin aber bestimmt und freundlich ohne aufzublicken, „hast Du das Tor zur Hölle aufgestoßen.“. Irritiert und wohl auch beeindruckt senkte der Krieger sein Schwert und verbeugte sich. „Und nun,“ sagte Hakuin mit leisem Lächeln, „öffnet sich Dein Tor zum Paradies“…hätten nur alle die Einsichtsfähigkeit dieses Kriegers.
Wenn wir im Unklaren darüber sind, wie Rede und Handlung für Budoka korrespondieren, können wir uns fragen, was denn die Quelle dieser Idee sei? Wenn wir beanspruchen, dass sich in unserer Handlung (z.B. im Keiko) unsere Haltung ausdrückt, warum stellen wir diesen Anspruch nicht auch für unsere Rede? Woher kommt aber die so gemeinte Rede? Im Budo gibt es das Konzept des Aiki (Harmonie des Ki) und aus dem Buddhismus stammt das Konzept des „Muga“ (Leere/Egolosigkeit), das über das Zen seinen Weg ins Budo gefunden hat. Solange der Geist abgelenkt oder unrein ist, ist eine Handlung nicht frei. Takuan sagt: „An einer Seele, die völlig frei von Gedanken und Erregungen ist, findet selbst der Tiger keine Stelle, seine Krallen einzuschlagen.“ Und Tamura Sensei führt aus: “Indem man sein Herz befreit, lässt man freie Bewegungen entstehen. Indem man seinen Körper frei bewegt, erschafft man ein Herz, das durch nichts festgehalten werden kann”. Diese Ebene ist für den Budoka über Keiko, also durch die Technik über die Technik hinaus, zu erreichen. Können bedarf eben der Übung und im Budo umfasst üben die ganze Person. Erst wenn das „Herz“ frei ist, kann man den Aite wirklich ohne Kraft führen… wobei, manchmal ist „Führen“ aber ganz anders, als man beabsichtigt:
Ein junger Europäer war einmal in Tokio auf ein Fest eingeladen. Yamada Sensei gab mit seiner wunderbaren Stimme ein paar Songs zum Besten, der Wein schmeckte hervorragend und die
Stimmung war ausgelassen. Als es schon nach Mitternacht war, und da Yamada Sensei wusste, dass Tamura Sensei die Frühklasse unterrichten sollte, bat er den jungen Mann, Tamura Sensei ins Hotel zu begleiten, da dieser wohl viel Wein getrunken hätte. Diese Aufgabe war aber so gar nicht einfach.
Der junge Mann hatte ja auch den Wein genossen, wusste nicht, ob er Sensei stützen sollte (welch Gedanke), er kannte sich in dieser Umgebung überhaupt nicht aus und konnte dann auch gar nicht verstehen, was die freundliche Dame ihm in einer fremden Sprache über den U-Bahn Lautsprecher zu sagen versuchte. Während Sensei so dasaß, sein Körper wiegte sich sanft im Rhythmus des Schienenfahrzeugs, die Augen schienen geschlossen, überlegte der junge Mann krampfhaft, ob ihm eine der vorbei rasenden U-Bahn-Station noch bekannt vorkäme und wie er denn in dieser Großstadt je die Unterkunft wiederfinden sollte… Noch mit dem immer stärker werdenden Gedanken beschäftigt, wen er wohl um Hilfe bitten könnte, oder ob er versuchen sollte, den offenbar eingenickten Meister zu stupsen, erhob sich Tamura Sensei plötzlich, verließ an der nächsten Haltestelle die U-Bahn und ging in seiner unnachahmlichen Art, währenddessen der junge Mann hinterherdackelnd nur versuchen konnte, den Anschluss nicht zu verlieren, schnurgerade zum Hotel. Einen leichten Klapps auf den Hinterkopf und ein kurzes Lächeln gab es für den jungen Mann noch als Abschied, bevor er in sein Zimmer taumeln durfte. Als Yamada Sensei am nächsten Tag, nach dem für den jungen Mann durchwachsenen Morgentraining fragte, ob er denn Tamura Sensei gut ins Hotel zurückgebracht habe, musste er wohlwissend und über dessen Gesichtsausdruck gleichwohl herzhaft lachen… Wer da wohl wen geführt hat…und wer dieser junge Mann wohl gewesen war? Ich denke noch gerne an ihn zurück.
Liebe Freunde, Ihr habt jetzt hier viele verrückte Gedanken von mir lange durchgehalten. Nun kommt im traditionellen Budo die Zeit des Jahresübergangstrainings (Etsunen Geiko) und die Phase in der wir die Spiegel schließen und uns 11 Tage lang vom weltlichen S(ch)ein zurückziehen, bevor wir beim Kagami biraki Keiko das Mochi brechen und das Neue Jahr begrüßen. Wir sollten nicht vergessen, dass es in der Aikido-Entwicklung keinen Zwang gibt und jeder und jede nach seinen oder ihren Möglichkeiten selbst entscheidet, wie und wann trainiert werden kann, aber wir sollten es uns selbst zuliebe dabei auch nicht zu leicht machen. Aikido macht Freude, stärkt und befreit uns immer wieder aufs Neue, hält uns flexibel und führt, im Sinne der Harmonisierung der Seinsebenen (Körper/Geist/Seele), zu einem guten Lebensgefühl, aber alles was wertvoll ist, bedarf auch eines gewissen Einsatzes. Üben wir!
Alles Gute fürs Neue Jahr und auf bald
Frank